Wer mit der Wildnisschule zu tun hat, kommt um das Thema Wölfe nicht drumherum. Der Hohe Fläming ist Wolfsgebiet, 22 Rudel leben hier, 2009 tauchte das erste Rudel auf. Paul hat eine besondere Leidenschaft für dieses Wildtier und bietet regelmäßig Kurse dazu an, zum Beispiel das Wolfs-Tracking, dass jedes Jahr im späten Winter in Reetz stattfindet. Gestern war hier der “Praxistag Wolf”, eine Einführung in das Thema für Interessierte, die sich diesem Tier inhaltlich und real nähern wollen. Denn für viele ist zwar klar, dass der Wolf “da ist”, aber er bleibt doch unsichtbar, weil zwar in den Medien über ihn berichtet wird, aber Menschen nur sehr selten einen Wolf tatsächlich sehen. Und was über diesen “Presse-Wolf” berichtet wird ist oftmals widersprüchlich: “Völlig harmlos!”, sagen die einen, “Eine blutrünstige Bestie!”, sagen die anderen. “Ein Wolf hat meinen Hund gebissen!” steht der Meldung “Das war kein Wolf, sondern ein Schäferhund!” gegenüber. Was nun glauben? Und was wissen wir eigentlich? Und welche Spuren hinterlassen Wölfe überhaupt?
Der “Praxistag Wolf” soll Antworten auf diese Fragen geben. Bei Kaffee und Keksen gibt es im “Klassenzimmer Wald” eine kurze theoretische Einführung in das Thema und wir beschäftigen uns dann mit unseren Fragen zum Wolf, sprechen über Mythen und ganz konkret über Ängste: Kann man als alte Frau noch alleine Pilze suchen gehen? Kann man nachts noch draußen alleine im Wald schlafen? Wie verhalte ich mich, wenn ich einem Wolf begegne? Wie wahrscheinlich ist es überhaupt, dass ich einem Wolf begegne? Kann ich meinen Hund ohne Leine im Wald laufen lassen?
Anschließend widmet sich die Gruppe der Fragestellung des Fährtenlesens. Wir betrachten verschiedene Spurenbilder und vergleichen sie miteinander. In der großen Sandbox lernen wir, die unterschiedlichen Gangarten des Wolfes an der Fährte zu unterscheiden. (Nein, da ist kein Wolf netterweise für uns vorher in der passenden Gangart durchgelaufen. Das hat Paul mit Hilfe von Gipsabdrücken, die von echten Wolfsspuren stammen, vorher sorgfältig angelegt.) Und auch der Unterschied zwischen Trittsiegel von Hund und Wolf wird von den Teilnehmenden herausgearbeitet. Das ist nämlich wirklich sehr schwer und nicht immer eindeutig, was daran liegt, dass der Wolf und der Hund so nah miteinander verwandt sind. Sicher, die Spur eines Chiwuawuas wird keiner mit einer Wolfsfährte verwechseln, aber größere Hunde können Spuren hinterlassen, die denen von Wölfen sehr stark ähneln und deshalb kaum zu unterscheiden sind. Wir lernen, dass die Spur uns Hinweise darauf geben kann, eine sichere Aussage über die Anwesenheit von Wölfen aber noch mehr Informationen braucht. Es gibt sogar eine besondere Schulung genau für dieses Thema, in dem man dazu ausgebildet wird, wie man zum Wolfs-Monitoring Spuren wie Fährtenbilder, Urinproben, Risse und Losung sicherstellt und fachgerecht damit umgeht, damit diese Spuren zum Beispiel für eine genetische Analyse auch verwertbar sind.
Danach gehen wir wieder in den Wald, um Spuren zu suchen. Aber das tut dann jeder für sich alleine: Eine ganze Stunde lang soll man sich allein im Wald bewegen oder sich einen Platz suchen, von dem man aus die Geschehnisse um einen herum beobachtet. Die Reflektionsrunde finde ich besonders spannend: Jeder berichtet von seinen Beobachtungen, kleinen Abenteuern, Spuren, Begegnungen und Rätseln und mehrmals höre ich den Satz: „und dann war die Zeit plötzlich schon vorbei…“
Die Schwierigkeit der Unterscheidung von Hund und Wolf zeigt sich auch an einer Losung, die ich zufällig am Wegesrand gefunden habe: Alle Merkmale weisen darauf hin, dass es sich um die Losung eines hundeartigen Tieres handelt. Es könnte ein Hund sein, dann wäre es mir wohl nicht weiter aufgefallen, doch ein Merkmal ist außergewöhnlich und seltsam: Der Kot ist durch und durch durchsetzt mit Haaren, die auf den ersten Blick von Wild stammen können. So etwas füttert doch keiner seinem Hund? Ist es vielleicht ein Wolf? Wolfslosung ist doch mit Haaren durchsetzt? So nah am Hof, während so viele Menschen hier aktiv sind? Während der Zeit der Jungenaufzucht der Wölfe? Aber welcher Hund frisst den etwas, dass so haarig ist? In der Gruppe erarbeiten wir gemeinsam die Merkmale von Wolfslosung und die Unterschiede zur Hundelosung und erörtern dann gemeinsam im Anschluss das Für und das Wider in diesem konkreten Fall. Am Ende der Diskussion ist die eine Hälfte der Gruppe der Meinung, dass es sich um Hundelosung handelt, die andere Hälfte der Meinung, dass es sich um Wolfslosung handelt. Ich kann mich nicht entscheiden. Es ist rätselhaft! Wie so oft in solchen Fällen, liegt die Lösung aber ganz nahe, in unserem speziellen Fall sogar nur 100 Meter um die Ecke herum auf dem Hof und schläft. Tim Taeger, der hier gerade einen Kurs zum Thema Fellgerbung im Rahmen der Jagdausbildung abhält hat nämlich einen gefräßigen Jagdhund, der tatsächlich alles frisst, was er bekommen kann. Durch den Gerb-Kurs sind dieser Hündin am Wochenende eine Menge „wilder“ Haare unter die Nase- und damit in die Losung- gekommen. Das Rätsel ist gelöst! Und es hat sich gezeigt, dass es selten Eindeutigkeiten beim Spuren lesen gibt. Unter Umständen sieht Hundekot dann nämlich auch mal wie Wolfskot aus. Oder Andersherum! „Wenn Du zum Spuren lesen raus gehst, musst du dich damit abfinden, dass du mit mehr Fragen zurückkommst, als du losgegangen bist.“, sagt Paul in der Runde.
Nachdem wir noch über die übrig gebliebenen Fragen gesprochen haben, verabschieden wir die TeilnehmerInnen.
Bei mir sind am Ende des Tages Fragen zum Umgang mit Möglichkeiten und Unsicherheit geblieben. Ich hätte so gern klare Antworten! So etwas wie: „Guck mal, daran erkennst Du eine Wolfsspur!“ Und dann bitte schön: „Erstens, zweitens, drittens, …“, also ein klares Schema zum Abhaken und danach bitte: Gewissheit. Sicherheit. Wissen. Ein klares: „So ist es und nicht anders. Das ist eine Wolfsspur und das ist eine Hundespur.“ Ich weiß jetzt aber auch, dass es eben nicht so einfach ist und dass pauschale, eindeutige Aussagen, die auf wenigen Hinweisen beruhen richtig, aber auch völlig falsch sein können.

Ich bekomme auch den Eindruck, dass der Umgang mit Fragen an der Wildnisschule Hoher Fläming ein anderer ist, als ich ihn gewohnt bin. Ich bin es gewohnt, Antworten zu bekommen! Aus dem Kontext der naturwissenschaftlichen Hochschulbildung natürlich am besten eine Antwort mit überprüfbarer Quellenangabe! Ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand auf meine Frage hin zu verstehen gibt, dass das eine interessante Frage sei und mir weitere Fragen stellt! Es hat irgendwie mit dem Lernen hier zu tun. Das ist ebenfalls anders, als ich es gewohnt bin. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
(Ach ja, das Wespenproblem hat sich deutlich reduziert, seitdem ich einen halb gefüllten Schlafsack-Beutel in den Wagen gehängt habe. Die Wespen denken jetzt, dass sei ein Wespennest und dieser kuschelige Platz zum Nest bauen schon belegt. Eine einfache, aber äußerst wirksame Methode, Wespen davon abzuhalten, ein Nest irgendwo hinzubauen.)