2020, ein außergewöhnliches Jahr, wir alle wissen warum…

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eit vielen Jahren beginnt unsere Wildnissaison mit dem Wolfstracking Ende Februar. Auch 2020 war das noch möglich. Unser Highlight an diesem Wochenende war die Fährte eines galoppierenden Wolfs, der wir mehrere Kilometer folgen konnten. Die Kraft und Anmut dieses Tieres wurden auf beeindruckende Art und Weise in den Spuren sichtbar.

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ur zwei Wochen später ist unser Wildnisplatz „Der Zinken“ aus dem Winterschlaf erwacht. Der Campaufbau Anfang März ist inzwischen auch schon zur Tradition geworden.

Auch an dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön an alle helfenden Hände. Ich habe das epische Bild noch lebhaft vor Augen, wie ca. 50 Menschen einen 750 kg schweren Findling per Hand und Seil über den Platz ziehen.

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er Campaufbau war gleichzeitig der Beginn des Praktikums von Björn.

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n den Vorbereitungen des Ostercamps waren die Nachrichten aus China, die wir so weit weg glaubten, bei uns angekommen. Die Ereignisse überschlugen sich.

Lockdown, plötzlich steht die Welt still, keine Flugzeuge mehr am Himmel, die Straße vor unserem Grundstück wird kaum befahren, die meisten Geschäfte sind geschlossen, Versammlungen und damit auch die geplanten Kurse der Wildnisschule müssen abgesagt und storniert werden.

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chock, Verunsicherung, nicht nur in den öffentlichen Medien eine Flut von Meinungen, Ansichten, Experten und Prognosen: Auf dem leeren Zinken scheint die Sonne, die Kirsch-und Apfelbäume blühen, die Vögel besingen ihre Lebensfreude und ihre Paarungslust virtuos, die Füchsin in sternklarer Nacht heiser und wehmütig schreit, der Waldkauz huhuut und mit dem bilderbuchreifen Frühling Mutter Natur sich von ihrer besten Seite zeigt.

Die Entstehung des Voologen

Zum Glück gibt es Älteste, die spontan auf einen Spaziergang vorbeikommen, fragen wie es läuft, ihre besonnenen Meinungen äußern und im Nebensatz fallen lassen: „Du kannst dich jetzt nicht verkriechen, mach was für Deine Leute! Fällt Dir dazu nichts Sinnvolles ein?“

Zwei Tage später, auf einem meiner morgendlichen Spaziergänge hatte ich bei der Suche nach dem aktuellen Fuchsbau, hatte ich plötzlich eine Idee:
Warum nicht einfach Geschichten vom Zinken seinen gefiederten und vierbeinigen Bewohnern teilen? Dazu ein paar kleine „Rausaufgaben“ streuen, ein paar Imitationen von Vogelgeräuschen und der „Vogelpodcast“ mit dem Voologen Paul“ war geboren!
Danke Michael.

Ich hätte niemals damit gerechnet, dass der Podcast solche Wellen schlagen würde.
Es kam eine Flut von Mails mit Fragen, Danksagungen, eigenen Geschichten. Eine stetig wachsende Chatgruppe entstand. Mit regem Austausch bis heute…. Radiosender und Zeitungen baten um Interviews…

Ich konnte meine Freude über Naturbeobachtungen und Erlebnisse zwar nicht mehr unmittelbar mit Kursteilnehmer*innen teilen, aber dafür digital mit Menschen aus der ganzen Bundesrepublik.

Da waren zum ersten Mal zwei Wendehals Brutpaare auf unserem Platz; die Sperbergrasmücke konnte ich wieder erkennen, eine Vogelart, die ich erst im letzten Jahr kennengelernt hatte; erstaunliche Fotofallenaufnahmen von zwei Fuchsfähen, die den gleichen Wurf säugen; einen spannenden Amselnesterentdeckerwettbewerb in unserer Familie und das nächtliche Wolfsgeheul am fünften Hochzeitstag…

Ein stabiles und funktionierendes Netzwerk

Nach langem Zögern und Zweifeln entstanden dann die ersten Onlineangebote zum Thema Spurenlesen und Vogelsprache.
Plötzlich hatte ich Teilnehmer aus Irland, Bayern und der Schweiz. Die Menschen waren in ihrer Umgebung unterwegs. Auch über digitale Medien kann Naturverbindung entstehen, wenn wir uns bewusst darauf einlassen.

Mutig stürzte ich mich in ein mehrtägiges Online Angebot für junge Menschen, die ein Freies ökologisches Jahr an unterschiedlichen Natureinrichtungen in Brandenburg absolvierten. Am zweiten Tag kam eine Teilnehmerin von ihrem Sitzplatz. Die Aufgabe bestand darin, mit allen Sinnen wahrzunehmen und Fragen mitzubringen:

„Ich saß an meinem Sitzplatz und alles was ich sah waren Pflanzen, so viele und völlig andersartig. Dann kam mir die Frage: Wie kommt es, dass wir Menschen kein Problem damit haben diese unterschiedlichen Wesen alle als Pflanzen, also zugehörig zu einer Gruppe, zu sehen. Aber bezogen auf uns Menschen schauen wir meist auf Unterschiede, anstatt unsere Gemeinsamkeiten anzuerkennen…“

Der Vergleich ist so einfach, aber gerade in Bezug auf die aktuellen Bedrohungen unserer Welt Klimakatastrophe, Hunger, Kriege… so passend, es hat mich tief berührt.

Zeitgleich starteten wir einen Spendenaufruf. Wir waren und sind immer noch begeistert von den Spenden, den wohlwollenden Worten, neuen Ideen, Mitdenken und Mitfühlen von so vielen von Euch.

Ohne diese Unterstützung hätten wir die Kursflaute nicht überlebt. Ich bin zutiefst dankbar über Eure Empathie. Es ist ein stabiles und funktionierendes Netzwerk entstanden. Eine Gemeinschaft, die für Naturverbindung steht und bereit ist, neue Wege zu gehen. Wege, um der Klimakatastrophe zu begegnen, der wachsenden Naturentfremdung Alternativen zu bieten, die trotz modernem Leben funktionieren können.

Mitte Mai endete das Praktikum von Björn. Ein Praktikum das so ganz anders war. Er konnte einen einzigen Wildniskurs begleiten!  Trotzdem hat er schöne Spuren hinterlassen.  Der Wächter vom Zinken, ein drei Meter hoher Rabe aus einem Eichenstamm gehauen.

Björn hat das Quartier der Praktikanten am Platz, ein Bienenwagen inmitten unserer Streuobstwiese, mit Bett, verkleideten Wänden und Schreibtisch wohnlich gemacht; meinen Vater beim Bau einer neuen Terasse geholfen und vieles mehr. Der Mann liebt nicht nur Holz, er kann auch damit umgehen. Lieber Björn vielen Dank!

Björn wurde von unserem nächsten Praktikanten Jonas abgelöst.  Die nächsten drei Monate waren das komplette Gegenteil. Wir konnten wieder Kurse anbieten!

Die endgültige Entscheidung wieder loszulegen war ein mühseliger Prozess. Gespräche mit vielen Menschen, Wildnisschulen, öffentliche Verlautbarungen und intensives inneres Abwägen begleiteten diesen Prozess. Ein platzeigenes Hygienekonzept musste entwickelt werden, Abläufe und Inhalte angepasst und verändert werden.

Jonas hat an fast jedem darauf folgendem Wochenende die verschiedensten Kurse begleitet. Die Menschen waren hungrig nach draußen Sein und Wildnis.

Zeitgleich zum verspäteten Start in die Saison wurde der Waldbereich am Zinken durchforstet. Der beauftragte Harvester hinterließ eine Spur der Verwüstung.

Babu ist ohne einen Kratzer davongekommen, aber der Wald drumherum, sah erstmal katastrophal aus.  Danke an Isabel für die Zeremonien, um die Wunden zu heilen.

Gern erinnere ich mich an das gigantische Sommercamp auf dem Zinken und wenige Wochen später „Jugendscout on Tour“.
Bei der nun schon sechsten Scouttour rund um Berlin waren diesmal neben meinem Papa auch meine beiden großen Kinder Matilda und Jarimir dabei.

Mit so wenig wie möglich unterwegs zu sein, dann noch ungesehen und in einer sehr heterogenen Gruppe ist eine intensive Erfahrung. Das mit meiner Familie zu teilen empfinde ich als ein ganz besonderes Geschenk.

Danke an alle Jungscouts fürs Dranbleiben, an meinen Papa für seine ganze Unterstützung und Rüdiger, der die Südgruppe leitete und darüber hinaus die Wildnisschule intensiv und mit viel Herzblut vielseitig unterstützt.

Das Herbstfest rückte näher und Jonas Praktikum ging zu Ende. Danke für Deinen Einsatz, Deine Neugier und Deine Offenheit. Du warst eine großartige Unterstützung, lieber Jonas!

Jonas wird abgelöst von Annika. Ich teile mit ihr die Liebe zu den Federn. Für meine Federsammlung klebe ich die Federn auf Papier, eine wunderbare Art über Federn und die einzelnen Vögel zu lernen.

Annikas Klebungen bestechen durch Perfektion und absoluter Hingabe.  Die Ästhetik ihrer Federbilder übertreffen meine durch ihre Liebe zum Detail. Eine respektvolle Art dem Vogel die letzte Ehre zu erweisen.

Episches Herbstfest 2020

Das Herbstfest fand in diesem Jahr in einem anderen Format statt. Wir hatten begrenzte Teilnehmerzahlen und verbindliche Anmeldungen. Mit einem großen Kernteam von über 20 wunderbaren Menschen kreierten wir ein sehr verbindendes Wochenende.

Wir waren um die 150 Menschen, haben uns in verschiedenen Projekten ausgetauscht, gemeinsam gesungen, Geschichten am Feuer gelauscht, gefeiert, getanzt und gelacht.

Für mich war es ein außergewöhnliches und bewegendes Erntedankfest!
Vielen Dank an alle die mitgewirkt haben, besonders an Inga für die Leitung des Küchenteams, das Essen war unglaublich. Danke an Isabel für das Leiten der „Samenzeremonie“ und die wunderschönen Lieder.

Danke an meinen Bruder für die musikalische Unterstützung und an den Waldschrat für die spontane Überraschung. Und ein großes Dankeschön an das großartige Team und das Konzept der Acht Richtungen. Durch Euch im Rad ist Magie entstanden!

Der krönende Abschluss der Wildnissaison war die Spurenleser-Evaluation mit Joscha Grolms von der Wildnisschule Wildniswissen. Die eingeschworenen Spurenleser in unserer Schule haben sich prüfen lassen und gemeinsam, von und miteinander viel gelernt.

Die Expertise von Joscha und seiner Frau Laura ist beeindruckend. Wie schafft es Laura, zum zweiten Mal ein Uhu Trittsiegel zu finden? Ich habe seit der letzten Evaluation kein Einziges gefunden.

Dankeschön

Und dann war da noch ein Gewölle (Speiballen) von einem Eisvogel. Definitiv meine Spur des Jahres! Das Gewölle ist so zart und fragil und wird dazu noch meist über Wasser aus dem Schnabel geschleudert, dass es fast unmöglich ist, ein Erhaltenes zu finden.

Wir freuen uns alle auf die neue Spurenleserbibel von Joscha Grolms, die hoffentlich im Mai nach über sechs Jahren der Vorbereitungen herauskommen wird.
Danke Joscha für Deine Hingabe, Genauigkeit und Liebe, die Du dem Spurenlesen widmest.

Die Evaluation war für mich persönlich ein grandioser Abschluss der Saison 2020.

Einen riesiges Dankschön auch an meine Traumfrau Roxana; an Thordis, meiner meiner Direktorin des ersten Eindrucks; an Mametis, die immer für mich da ist, wenn ich Rat brauche; an Astrid, die im Zahlendschungel den Überblick behält und an Wanja, der seit Gründung der Schule für gutes Layout und eine tolle Homepage sorgt.

Danke an alle Freunde und Wildnislehrer, die Inhalte auf dem Platz oder mit mir gemeinsam gestalten, Daniela für ihre Frauenpower, Tim und Wieland für ihre Freundschaft und den innigen Austausch, Lukas und Lilith für die Scoutenergie, Greg, mein Freund und Trackingpartner.

Dank an Klara für ihre Begeisterung für das alte Handwerk, Katja, Tabea und Micha für ihre Pilzbegeisterung, Annette für das Teilen der Schädel-und Federleidenschaft, Timm für nächtliche Tischtennismatche und sein Wissen über die Vögel.

Danke an alle Köche und Köchinnen für das leckere Essen, Ines, Martin, Noam, Hannah, Inga, Mirjam, Carlos!

Danke an meinen tollen Kinder, für ihr Mitmachen, ihre Fragen und ihre Liebe. Danke an meine Mutter, ohne die es mich nicht gäbe und die eine tolle Oma ist.

Ein großen Dank an die bezaubernde Landschaft und ihre Bewohner mit denen wir sie teilen dürfen.

Danke dem „Zinkenreh“, dass während wir mit 20 Menschen am Feuer sitzen auf unseren Platz kam und seelenruhig anfing zu äsen.

Danke der Schleiereule, die seit einer Woche bei uns Rast macht und sich hoffentlich so wohl fühlt, dass sie bleibt und den Schleiereulenkasten in unserer Scheune annimmt.

Danke den Wölfen, die unsere drei Gastschafe verschont haben oder besser gesagt, die Sache mit dem wolfssicheren Zaun verstanden haben…

Ich hatte das Glück, neben vielen Spuren auch Wölfe beobachten zu können, wie sie sich schlafen legen, miteinander kommunizieren, ihr langgezogenes, wehklagendes Heulen hören und genießen mit welcher Geschmeidigkeit und Anmut sie sich durch die Landschaft bewegen. Eine Landschaft die zeitgleich besetzt war mit Rehen, Füchsen, Hasen, einem Dachs, einem Waschbären, alle mit gebührendem Abstand, wie wir Menschen auch…

Ich wünsche Euch einen sanften Übergang ins nächste Jahr.
Mit wilden Grüßen, Euer Paul