Rückblick auf das vergangenen Jahr 

2019 wird das zehnte Jahr seit der Gründung der Wildnisschule Hoher Fläming.
Je länger ich diese Arbeit mache, umso überzeugter bin ich, dass Naturverbindung einer der wichtigsten Bausteine ist, um zu verhindern, dass die Menschheit weiterhin mit Vollgas auf den Abgrund zurast. 
Seit ca. 200.000 Jahren praktizieren wir Homo sapiens Naturverbindung. Ohne Verbindung, also Beziehung zur eigenen und unmittelbaren Umwelt, war Überleben nicht möglich. Naturverbindung ist nichts Romantisches, sondern etwas Existentielles und Alltägliches.
Dass die bestehende politische und wirtschaftliche Ordnung keine Zukunftsperspektiven aufzeigt, wird immer mehr Menschen deutlich. Wir lesen und hören fast täglich von den Anzeichen der drohenden Klimakatastrophe. Sie sind Teil von alltäglichen Gesprächen, sogar unsere Kinder sprechen von der Absurdität unseres Handelns und Tuns.
Politische Lösungsansätze rufen keinen notwendigen radikalen Wandel hervor, sehr deutlich hat das die letzte Klimakonferenz gezeigt.  Der Gedanke vom ewig steigenden Wirtschaftswachstum zeigt sich immer fragwürdiger. Veränderungen gehen nur schleppend voran, steigende Umsätze und Konsumorientierung bestimmen nach wie vor die Politik der Großkonzerne.
 
Wie haben wir im Fläming die Dringlichkeit einer positiven Veränderung wahrgenommen?
Als Wildnismentoren arbeiten wir die meiste Zeit in der Natur, dabeiachten wir auf die Zeichen der Veränderungen, als Spurenleser bemühen wir uns, diese nicht sofort zu interpretieren oder zu bewerten.
 
Mir ist die Heftigkeit der Frühjahrsstürme noch sehr präsent. Wie um unseren Platz herum die Kiefern abknickten, Eichen auseinanderbrachen und die Rehe aus dem Wald flohen und den starken Wind auf dem Feld abwarteten. Beim Ostercamp saßen wir mit vielen Kindern im prall gefüllten Tipi und stemmten uns bei orkanartigen Böen gegen die Tipistangen, um ihr Brechen zu verhindern. Als wir nach überstandenem Sturm ins Freie traten, sahen wir, dass der Wind die gesamte Plane vom Langhaus abgedeckt hatte. Das hatte ich in der Vergangenheit, trotz vieler Unwetter noch nicht erlebt, dieses erschreckende Ausmaß an Zerstörungen von Wind und Sturm, manche Gegenden waren kaum wiederzuerkennen.
Den Rest des Jahres galt unser Augenmerk verstärkt den Zwieseln, Hängern und anderen bruchgefährdeten Bäumen, wenn wir uns für Übernachtungen oder Wanderungen im Wald bewegten. 
Im Sommer die unglaubliche Trockenheit. Ich habe in meinem Leben noch nie einen so heißen Sommer erlebt. Das im Jahresverlauf zunehmende Leiden der Pflanzen und der Bäume zu sehen, war schwer zu ertragen. Die gelben Birken im August, hängende Ebereschen, vertrocknete Wiesen, staubige Böden, das sonderliche Bild von Berliner Bürgern die Straßenbäume vor ihrer Haustür gießen. Die Auswirkungen der Trockenheit haben mich oft an die Dornbuschsavanne der Kalahari erinnert.  
Umso erstaunlicher war es für mich, wie gut sich Buche und Eiche gehalten haben, obwohl ich von Baumkennern gehört habe, dass die Auswirkungen bei diesen Baumarten erst in zwei, drei Jahren sichtbar sein werden.  
Auch wenn die Menge an Früchten im Vergleich zum apfel- und kirschlosen Vorjahr extrem war, die wochenlange Kirschernte, die Masse an Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Beeren, Eicheln, hatte der Sommer doch etwas Apokalyptisches.
Bei mir entstand der Eindruck, als ob die Baumwesen zur letzten großen Mast aufrufen würden.
Mein schlechtes Gewissen über die Freude eines weiteren sonnigen Tages wuchs täglich und die Dankbarkeit der Menschen über das „schöne Wetter“ löste ambivalente Gefühle in mir aus.
Was brauchen wir Menschen noch um endlich aufzuwachen? Wenn nicht wir die notwendigen Veränderungen beginnen, wer soll es sonst tun?
 
Die gemeinsame Zeit mit neugierigen, offenen Menschen auf dem Wildnisplatz „Der Zinken“ machte mir deutlich, wie sinnvoll und richtig unsere Arbeit ist. Sie ist der Versuch, das Wissen unserer naturverbundenen Vorfahren erlebbar und wieder zu unserem Alltag zu machen. 
Mein Eindruck ist, dass immer mehr Menschen ihrer Sehnsucht nach mehr Naturverbindung folgen.  Unsere Wildnisplätze der „Zinken“, das „Farnwäldchen“ oder der „Wilde Esel“ gaben auf vielfältige Art und Weise die Möglichkeit, diesem inneren Wunsch zu folgen.
 
Hier ein paar Eindrücke, Einblicke und Highlights der Veranstaltungen des vergangenen Wildnisjahres.
Ich bin sehr dankbar für den gelungenen Auftakt der Saison mit unserem alljährlichen Campaufbau Ende März. Eine der Baustellen war es, das Tipi zu reparieren. Es wurde liebevoll geflickt, damit der poröse Stoff die Saison noch übersteht. Am Ende der Herbstferien ist er beim ersten Sturm dann doch vollends zerrissen. Das Tipi hat uns fünf Jahre treue Dienste geleistet, bis zum letzten Tag.
Eines der vielen weitere Projekte war es, den neuen Steinofen zu überdachen. Über das Jahr verteilt wurden hunderte Pizzen gebacken, ein Gaumenschmaus für die Menschen auf dem Zinken. 
Ein ganz besonderer Kurs für mich war ein Wochenende über die „Kunst des Geschichtenerzählens“ für die Mitarbeiter der Waldschulen Berlins.
Ich träumte schon seit langem von diesem Format und war über die Umsetzung und Wirkung in der Gruppe sehr dankbar. Danke für die berührenden Geschichten, welche in Resonanz mit der uns umgebenden Natur entstanden sind, für das Lachen, die Tränen, die Kreativität und das Zuhören. Die Bedeutung und Wichtigkeit von frei erzählten Geschichten geht im digitalen Zeitalter oft unter und doch ist es ein unverzichtbarer Teil unseres Menschseins.
Ein weiteres Highlight war für mich die „Scout on Tour“ Woche. Seit vier Jahren bewegen wir uns etappenweise durch die Wälder Brandenburgs um Berlin herum, mit dem Ziel irgendwann wieder am Wildnisplatz „Der Zinken“ anzukommen, allerdings mit der Auflage dabei von keinem Menschen gesehen zu werden.  In diesem Jahr war Wasser natürlich ein großes Thema und hat uns vor große Herausforderungen gestellt. Um auch auf großen Freiflächen nicht gesehen zu werden, machten wir die Nacht zu unserer Verbündeten. In vielen Situationen spürten wir unsere körperlichen oder seelischen Grenzen. Die Sinne, die von Tag zu Tag wacher wurden, das Gefühl mit der Landschaft zu verschmelzen und der starke Zusammenhalt der Gruppe ist mir beim Schreiben dieser Zeilen lebhaft vor Augen. Diese Jugendlichen da draußen in all ihrer Lebendigkeit zu erleben, hat mich hoffnungsvoll und glücklich gemacht. Danke für die vielen Abenteuer.
Wie auch schon im Jahr zuvor, kam Salvatore Gencarelle aus den USA zu uns. Er war viele Jahre bei dem Lakota Ältesten und Heiler Godfrey Chips in der Lehre und hat eine wunderbare Art, dieses Wissen unserem Kulturkreis zugänglich zu machen. Mittelpunkt seines Kurses war das Element Feuer. Ich bin sehr dankbar für die Verbindung, die ich mit diesem Element in den letzten Jahren aufgebaut habe und welchen wichtigen Stellenwert es in meinem Alltag hat. Ich bin immer wieder überrascht, wieviel wir vom Feuer über Respekt, Achtsamkeit, Vergänglichkeit und Gemeinschaft lernen können.
Ich habe in diesem Jahr beeindruckende Rituale erleben dürfen, bei denen das Feuer Zentrum war, beindruckend durch die Einfachheit und den Zauber, der entstanden ist.
Durch die immer enger werdende Kooperation mit einem Veranstaltungsort in unmittelbarer Nachbarschaft hat sich ein neuer Bereich in der Wildnisschule entwickelt.
Wir haben eine Vielzahl von wildnispädagogischen Tagen oder Wanderungen für Teams aus Unternehmen veranstaltet.  Anfangs, das muss ich ehrlich zugeben, war ich skeptisch und etwas voreingenommen. Rückblickend bin ich begeistert über die Bandbreite an Unternehmen, die bemüht sind Firmen aufzubauen, welche sich neben Wirtschaftlichkeit und Marketingstrategien mit Nachhaltigkeit, einem offenen und menschlichen Umgang untereinander und den Auswirkungen ihres Tuns auf die nach uns kommenden Generationen beschäftigen.  Zum Beispiel Firmen, die sich jeden Monat einen ganzen Tag Zeit nehmen für einen Austausch über ihre Bedürfnisse, Erwartungen und Gefühle oder Firmen, die mit der gesamten Belegschaft nach Malaysia reisen, um dort die Kautschuk- Bauern persönlich kennenzulernen um Preise und Bedingungen auszuhandeln, die für beide Seiten gut sind. Ich habe Firmen kennengelernt zu deren Ideologie es gehört, alle Herstellungsverfahren aus recycelten oder nachwachsenden Rohstoffen zu gewinnen. Es waren Firmen, die den Blick über den Tellerrand richten und nicht nur auf Profit und Wachstum aus sind. Diese Erfahrungen haben mich inspiriert und hoffnungsvoll gemacht.
Ganz besonders und außergewöhnlich war die Nähe einer Wolfsfähe mit ihrem Rüden, die fünf Welpen in Rufweite von unseren Wildnisplätzen zur Welt gebracht hat. Ich habe mich intensiv mit den Spuren und Zeichen dieses Rudels beschäftigt. Mein Sohn hat in einem vermutlichen Wolfsbau die Wurfkammer, der Geburtsort der Welpen, bestätigt. Wir haben den Umzug des Rudels mitbekommen, herrliche Fährten kilometerlang lesen und deuten können und sind schlussendlich auch einigen Individuen aus dem Verband im Wald begegnet. 
Ich bin dankbar und erfüllt für die vielen Geschichten, die im Boden geschrieben standen, die intensive Zeit mit den Menschen, welche mich auf den Streifzügen begleitet haben und die elektrisierende Lebendigkeit die entsteht, wenn ich mich in den Spuren verliere.
Der Wolf war im letzten Jahr in verschiedensten Medien so präsent wie noch nie. Politiker werden zu Wolfsexperten, unterschiedlichste Interessengruppen verbindet der neue gemeinsame Feind und immer öfter fallen Worte wie „töten“, „Gegenmaßnahmen ergreifen“, „…erst Mensch, dann Natur“, „Er gehört hier nicht mehr her!“ und düstere Prognosen über Attacken auf Menschen von „zähnefletschenden Bestien“.
Zugegeben, die Anwesenheit des großen Beutegreifers stellt uns vor Herausforderungen, Konflikte, für die es noch keine Lösung gibt, direkt Betroffene, wie z.B. Nutztierhalter, die teilweise erhebliche Schäden in Kauf nehmen müssen. Es sind Ängste in einer naturentfremdeten Gesellschaft, die teilweise auf Mythen, aber vor allem auf Unwissenheit oder fehlender Empathie beruhen. 
Für mich ist die Anwesenheit des Wolfes mit den dazugehörenden Konflikten geradezu eine Aufforderung wieder mehr Wildnis in unserer Kulturlandschaft zu zulassen. Es ist eine Chance für einen Perspektivwechsel, die Möglichkeit sich in Empathie zu üben, nicht nur für die Tierart Wolf, sondern auch für die Menschen, die anderes denken als ich, die Möglichkeit genau zu zuhören, um gemeinsam neue Lösungen zu entwickeln.
Die Thematik macht deutlich, wie unser Umgang mit allem was anders, unbekannt, nicht einschätzbar ist. Etwas rüttelt an unserem Herrscherthron an der Spitze der Evolution. 
 
Meine Beobachtungen in der Zeit draußen im Wald ist, dass in den Gegenden mit hoher Wolfspräsenz nicht Angst und Schrecken herrscht, diese Gebiete sind immer noch überfüllt von Schalenwildarten , die zu den Beutetieren des Wolfes gehören.  
Ich werde weiterhin die Hoffnung pflegen, dass wir uns öffnen für ein neues Miteinander, nicht nur mit dem Wolf, sondern mit der ungezähmten Wildnis, dass wir die Chance nutzen unsere Lebenshaltung zu verändern.
 
Rückblickend war 2018 ein Jahr voller bewegender, intensiver Erfahrungen und ich fühle mich dankbar und reich beschenkt.  Besonderen Dank an meine Familie für die Unterstützung, das Zuhören, das Reiben und gemeinsame Wachsen. 
Danke an die vielen Menschen, welche uns auf unterschiedlichste Art und Weise unterstützt haben, sei es als Mitarbeiterin in der Wildnisschule, als Praktikant oder Helfer bei Kursen oder für den Platz, als Befürworter und Botschafter unserer Arbeit und der damit verbundenen Vision oder einfach als guter Freund oder Freundin.
Einen Dank auch an die tierischen und pflanzlichen Bewohner dieses Platzes, den Elementen und den nicht sichtbaren Dingen und Kräften, welche uns jeden Tag begleiten und auf die verschiedenste Art und Weise unterstützen.
Mit den Erfahrungen aus dem letzten Jahr, blicke ich nach vorn und freue mich auf alles Neue, die Herausforderungen und Überraschungen im neuen Jahr.  Mehr zu den Vorhaben für das neue Jahr im nächsten Newsletter.  Paul vom „Zinken“.