Wildnis Kontrovers

Transformative Potenziale des Commoning in der wildnispädagogischen Praxis

Eine Untersuchung an der Wildnisschule Hoher Fläming anhand der Muster des Commoning

(Auszüge aus der Bachelorarbeit von Paula Towadai Conrad im Studiengang Landschaftsnutzung und Naturschutz)

„Hörst du das Surren der Webspulen? Zwischen den Kreisen spinnen sich Verbindungen. Weben sich Fäden unsichtbar-silbrig und halten die Kreise zusammen, wie bei einem Mobilé. Hier laufen Fäden und Beziehungen von gegenseitiger Unterstützung, je mehr desto widerstandsfä- higer, je diverser desto schillernder ist das ganze Gebilde. Hier in der Natur sind wir „drau- ßen“, wie wir sagen, aber auch „draußen“ sind wir immer „drinnen“, „drinnen“ in unserer Gesellschaft. Wir ruhen uns auf ihrem Boden aus starten von hier zu neuen Entdeckungen und Aufgaben. Gehalten von einem Netz, dass wir alle, in unseren Unterschiedlichkeiten zusam- mentragen.“ – M. Holzgreve

Von der „großen Transformation“ zu den Commons und zur Wildnispädagogik

Wir leben in Zeiten des Wandels. Obwohl wir in Europa vergleichsweise immer noch sehr privilegiert leben, wird auch hier deutlich, dass unsere gefühlte Sicherheit und Stabilität der Lebensumstände jeder- zeit bröckeln könnte. Mit der drohenden Biodiversitäts- und Klimakrise in Kombination mit den unzähligen sozialen Ungerechtigkeiten der Welt, wissen wir inzwischen fast alle: Für eine Zukunft in der wir alle leben können, muss sich unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben wandeln. Die Frage ist nur auf welche Art und Weise kann uns ein Wandel gelingen? Sozial-ökologisch – lautet die Antwort des politisch grün bis links orientierten Gesellschaftsmilieus. Dies ist jedoch ein weiter Begriff. Zunächst prägte die Veröffentlichung des WBGU1-Berichts 2011 die Debatte der „Großen Transformation“ (WBGU 2011, S. 1) . Der WBGU zeichnet ein Transformationsverständnis für eine „klimaverträgliche und nachhaltige Weltwirtschaftsordnung“ ab, in welcher alle Akteure der Gesellschaft sowie der Politik kollektiv Verantwortung für aufkommende Krisen übernehmen (ebd., S. 2). Für Politikwissenschaftler Ulrich Brand bedeutet die sozial-ökologische Transformation die Einsicht, dass „die Entstehung von und der Umgang mit Umweltproblemen unmittelbar mit den jeweils dominanten gesellschaftlichen Organisationsmustern, Problem- und Konfliktlagen verknüpft ist“ (Brand 2017, S. 20). Somit betrachtet er die sozial-ökologische Transformation als notwendige Antwort auf die ökologischen Krisen und sozialen Ungerechtigkeiten unserer Zeit. Die Grenzen unseres gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems müssen überwunden werden, um ökologische und gleichermaßen soziale Ziele in das politische und wirtschaftliche Handeln zu integrieren (ebd.). Dies kann ein Ansatz sein, diese Transformation zu definieren. Ich möchte im Rahmen der sozial-ökologischen Transformation in meiner Arbeit zwei weitere Ansätze oder auch Lebenshaltungen zusammendenken: Die Forschung über die Commons, sowie die Wildnispädagogik. Die Forschung über die Commons hat gezeigt, wie Menschen sich jenseits von Markt und Staat selbst organisieren und bedürfnisorientiert gemeinsam handeln. Dabei werden die An- gelegenheiten der Gemeinschaft miteinander auf Augenhöhe in einem sozialen Prozess geregelt. Auch die Wildnispädagogik verfolgt eine alternative Lebenshaltung und setzt ihren Fokus dabei auf Naturverbindung und Gemeinschaftsbildung. Der Wildnispädagogik fällt es dabei in ihrer immanenten Praxisorientierung schwer, an den akademischen Diskurs der sozial-ökologischen Transformation anzuknüpfen. Ihre Möglichkeiten und Potentiale einen Beitrag zu einem Gesellschaftswandel zu leisten, sind im

Gegensatz zur Commons-Bewegung weitestgehend unbekannt. Commons hingegen gibt es zwar überall in der Welt, dennoch sind sie in der Praxis oft unsichtbar, da die Wenigsten die transformative Bedeutung bestehender und gelingender Commons erkennen und sie auf eine größere Vision übertragen können. Die Commons-Forschung ist zwar direkt aus der Praxis inspiriert, jedoch sind ihre Erkenntnisse und ihre größeren Visionen in einer hoch akademischen Sprache verschlüsselt. Es gilt also zu untersuchen, inwiefern durch eine Verknüpfung beider Philosophien, die Bewegungen sich gegenseitig stärken und unterstützen können. Die Wildnispädagogik als Bildungsangebot könnte ein Ansatz sein, die transformative Grundhaltung des Commoning auf eine sehr praktische Art und Weise erlebbar zu machen. Auf der anderen Seite könnte durch das Aufdecken von Commoning-Praktiken in der Wildnispädagogik, die wildnispädagogische Lehrweise eventuell besser an einen gesellschaftlichen Diskurs der sozialökoloischen Transformation anknüpfen. Um an dieser Stelle so konkret wie möglich zu forschen, erfolgen die praktischen Untersuchungen dieser Arbeit anhand des Beispiels der Wildnisschule Hoher Fläming. Ausgehend von den Commons als transformative Bewegung, dient die von der Commons-Forschung entwickelte Mustersprache dabei als Analysewerkzeug, um auf transformative Potentiale der Wildnispädagogik rückzuschließen. Die einzelnen 32 Muster des Commoning sind dabei als Werte des Commoning zu verstehen.

Die Wildnisschule Hoher Fläming liegt im Westen Brandenburgs ca. 3km westlich der Stadt Bad Belzig und befindet sich im Naturpark Hoher Fläming.

Der Leiter der Einrichtung ist der ausgebildete Wildnispädagoge Paul Wernicke, der die Wildnisschule 2010 als stehendes Gewerbe gegründet hat. Es gibt zwei Festangestellte und sechs freiberufliche Wildnis-mentor_innen, die für die Durchführung der Kurse verantwortlich sind. Unterstützt wird die Wildnisschule auch durch Praktikant_innen und eine Vielzahl von Freiwilligen, die zum Beispiel beim Aufbau des Camps oder bei Pflanzaktionen helfen (Wernicke (f) 2023).

Die Wildnisschule erstreckt sich auf einem Grund- stück von 13ha, bestehend aus einem Hof, einer Streuobstwiese, Wiesen-, Acker- sowie einer kleinen Wald- fläche. Der Flächeneigentümer ist der Verein Amsel e.V., der das Gelände an die Wildnisschule vermietet.

Werte der Wildnisschule

Da sich die Wildnispädagogik in ständigem Wandel befindet und sich nicht als unveränderliches Konzept versteht, ist es wichtig die Ausrichtung dieser Wildnisschule genauer vorzustellen. Die Wildnisschule Hoher Fläming kann sich durchaus an das oben geschilderte Verständnis von Wildnispädagogik anschließen. Auf der Internetseite der Wildnisschule wird aber auch deutlich, wie sich die Wildnisschule mit den Hintergründen und der Entstehungsgeschichte der Wildnispädagogik kritisch auseinandersetzt. Somit werden klare Werte für die Arbeit und Inhalte, sowie für die Interpretation von Wildnispädagogik dieser Wildnisschule gesetzt.

Die Wildnisschule Hoher Fläming möchte für „Gleichberechtigung, Toleranz, Vielfalt, Authentizität, Autonomie, Selbstverantwortung und Solidarität“ einstehen (Wernicke (d) 2023). Dafür wird ein Welt- verständnis abgezeichnet, indem Meschen eingeladen werden, in ihrer Unterschiedlichkeit Fähigkeiten und Talente entfalten zu dürfen. Es wird ein „respektvolle[r], offene[r] und empathische[r] Austausch“ auf Augenhöhe angestrebt, der ein selbstverantwortliches Handeln fördert. Dabei darf niemand aufgrund „Geschlechtszugehörigkeit, Alter, Sexualität, Hautfarbe, Herkunft oder Religionszugehörigkeit benachteiligt oder ausgegrenzt“ werden. Anstelle dessen soll ein „liebevolles Miteinander“ praktiziert werden, in welchem sich Vorurteile abbauen können. „Lernen“ soll daher eine Lebenshaltung sein, ein Übungs- feld, in welchem ein „enkeltaugliches, naturverbundenes Leben“ erforscht werden kann (ebd.).

Die Wildnisschule gibt sich „sechs zentrale Säulen“ als Leitbild, um diesen Werten Ausdruck zu verlei- hen. Das Leitbild umfasst die Offenheit für Menschen unterschiedlicher Hintergründe (frei von Partei und Konfession), die klare Ablehnung von Diskriminierung und Vorurteilen (Distanzierung von Rassismus, Sexismus), die Förderung nachhaltiger Bildung und Umweltbewusstsein, ein modernes, teambasiertes Führungsverständnis mit flachen Hierarchien, die Stärkung von Netzwerken und Partnerschaften und das Engagement für aktiven Naturschutz, einschließlich Tier- und Lebensraumschutz.

Mit der Ausrichtung nach diesem Leitbild möchte die Wildnisschule einen „positiven Beitrag zur Gesellschaft und zur Natur“ leisten.

Außerdem setzt sich die Wildnisschule kritisch mit dem Thema der kulturellen Aneignung auseinander. Auch diese Wildnisschule wurde schließlich bei der Gründung von Tom Brown Jr. und Jon Young inspiriert (Wernicke (e) 2023). Außerdem beeinflussten in den letzten Jahren der Kontakt zu dem „Spurenleser / ́Ui und seiner Familie von den Ju/ ́Hoansi von den San in der Kalahari sowie de[r] Austausch mit Tom Porter (Sakokwenionkwas) von der Mohawks“ die Wildnisschule (ebd.). Somit besteht also eine direkte Verbindung zu den Lehren aus einem vollkommen anderen Kulturraum. Diese Verbindung möchte die Wildnisschule, aus Sorge der kulturellen Aneignung bezichtigt zu werden, keinesfalls leug- nen. Vielmehr möchte sich die Wildnisschule von der bloßen unreflektierten Übernahme von Praktiken und Weisheiten marginalisierter und meist nicht klar bezeichneter indigenen Menschengruppen distanzieren. Stattdessen wird ein respektvoller kultureller Austausch, der „das Teilen von Wissen und das Kennenlernen verschiedener Standpunkte“ in den Fokus rückt, angestrebt (Wernicke (e) 2023).

Einordnung des wildnispädagogischen Verständnis in die Philosophie der Commons

In den praktischen Untersuchungen ab Kapitel 4 dieser Arbeit wird unter anderem das Ziel verfolgt, Commoning-Praktiken in der Wildnispädagogik anhand des Beispiels der Wildnisschule Hoher Fläming deutlicher herauszuarbeiten. Um eine gemeinsame Basis für die folgende praktische Analyse zu schaffen, ist es zunächst von Bedeutung, wildnispädagogische Ansichten und Weltbilder auf theoretischer Ebene in den Kontext der Commons-Philosophie einzuordnen.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Philosophie der Commons sich auf einer Metaebene im Ver- gleich zur spezifischeren Wildnispädagogik befindet. Die Commons beschreiben eine Art Lebensform durch gemeinschaftliches Handeln mit bestimmten zwischenmenschliche Umgangs-, Organisations- und Wirtschaftsweisen. Dabei sind die Commons keinesfalls kontextgebunden sondern auf fast jede beliebige Umgebung übertragbar.

Die Wildnispädagogik hingegen konzentriert sich im klaren Kontext der Natur stärker auf den Bildungs- gedanken und somit auf die Art und Weise, wie und was wir lernen. Sie fokussiert sich im Wesentlichen auf das Verhältnis des Menschen mit und in der Natur und den dazugehörigen Beziehungen.

Daher können diese beiden Konzepte nicht direkt auf der gleichen Ebene miteinander verglichen werden. Stattdessen wird im Folgenden untersucht, in welchen Bereichen die Wildnispädagogik in die Commons-Philosophie integriert werden kann. Interessanterweise lässt sich trotz dieses konzeptionellen Unterschiedes ein gemeinsames Grundverständnis ausmachen und es können Aspekte erkannt werden, die in beiden Konzepten erfahren oder erlernt werden.

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