Der Kontrast hätte nicht extremer sein können. Vor einer Stunden haben wir unseren „Schatz“ vergraben und sind aus der Scoutmission 2020 ausgestiegen, sitzen auf dem verschlafenen Bahnhof in Melchow, knapp 20 Kilometer nordöstlich von Bernau und dösen beseelt von einer Woche Scoutabenteuer in der Sonne. Da kommt der RE27 nach Berlin Ostkreuz eingefahren.

Wir schnappen unsere Rücksäcke, klettern in das mittlere Zugabteil und da sind sie: die Vorboten der städtischen Wildnis, die bizarre Wirklichkeit einer so kompliziert gewordenen Welt ist eingeschlagen. Noch fühlen wir uns fremd und deplatziert zwischen den maskierten, im schnieken Sommeroutfit glänzenden Mitreisenden. Wir schneiden das letzte Brot auf, verteilen Käse, die letzten getrockneten Datteln und Aprikosen, trinken das letzte Wasser.

Ich beginne zu träumen, was war das wieder für eine unglaubliche Woche…
War wirklich ein ganzes Jahr vergangen, seit ich Emma, Annika, Karl oder Bo das letzte Mal gesehen hatte? Vieles war anders als bei meinem ersten Dabeisein bei „Scouts on Tour“2019. Von der ersten Minute an fühlte ich mich mit dem Scoutmodus vertraut.

Die diesjährige Gruppe an jungen Menschen war eine perfekte Mischung aus „alten Hasen“ und Scout-Neulingen, die wunderbar integriert wurden und zu einer perfekten solidarischen Einheit verschmolzen. Neu war, dass drei Generationen mitliefen –
meine ältesten Enkel, Matilda und Jarimir, waren dieses Mal endlich mit dabei.

Auf der Fahrt zum Einstiegsort stellten wir fest, dass bei der Proviantverteilung die beliebten Müssliriegel und die komplette Salz- und Gewürzration nicht mitgenommen wurden. Die Gelassenheit, mit der die Gruppe diesen Fakt zur Kenntnis nahm, verblüffte mich. Am Ende der Tour stellte Helena lakonisch fest, dass im kommenden Jahr auf noch viel mehr Produkte verzichtet werden könnte. Neu war, dass ich die Kamera mit dem Zeichenstift und einem kleinen Skizzenbuch getauscht hatte.

Mit einem Grafitstift in der Hand ist es ein intensiverer Blick auf Menschen und Landschaft. Nicht festzuhalten war zum Beispiel Emmas emotionale Begeisterung beim Beobachten einer majestätisch vorbeiziehenden Rothirschfamilie in den Wäldern der Oberen Havelniederung oder das verzückte wandeln der Scoutline durch das kniehohe sattgrüne Gras eines ausgedehnten Birkenwäldchens. Ich fühlte mich wie in einer Märchenverfilmungen, zwei Kilometer weiter wurden wir an apokalyptische Filmvisionen erinnert.

Wir mussten die Auswirkungen der Dürrejahre 2018 und 2019 erleben. Durch die Kombination aus Hitze und Trockenheit und den dadurch beförderten Schädlingsbefall an Bäumen, waren ganze Waldstriche kahl und grau und dem baldigen Tod überlassen.

Neu waren die Abenteuer der Havelüberquerung. An die zerschnittenen Füße der scharfen Muscheln im Oder-Havel-Kanal. Unglaublich der Improvisationsgeist, die Geduld und das entspannte Sein mit der schwierigen Situation umzugehen. Die mitgeführten Plastiksäcke erwiesen sich als zu klein für die Mehrzahl unserer Rucksäcke. Da zauberte plötzlich Camilla einen 200 Literbeutel hervor. Die Rettung! Auch wenn beim letzten Transport Bos Schlafsack völlig nass ans andere Ufer kam. Wir haben ihn die empfindlich kalte Nacht durch allerlei Kleiderspenden und Körperwärme überstehen lassen.

Viel wurde über die Suche nach dem großen Sinn gesprochen. Wer bin ich? Was mache ich hier? Intime und intensive Gesprächsrunde habe ich gehört.
Ich habe das hinter mir, was jetzt vor Euch liegt:
Einen Menschen finden, der Euch Ernsthaftigkeit, tiefes Vertrauen, Freundlichkeit entgegen bringt. Einen Menschen, bei dem Ihr das Gefühl spürt, das IHR mit Euren Stärken UND Schwächen gemeint seid.

Die Herausforderung ernsthafteste Verantwortung für die eigene Reproduktion, zu übernehmen. Mir ist das drei Mal gelungen…

Und – Ihr müsst Euch etwas suchen, womit ihr zukünftig euren Lebensunterhalt bestreitet und das euch über das reine Geldverdienen noch sinnhaft erscheint.
Ich hatte einen Beruf gefunden und ihn mit Leidenschaft, Dankbarkeit und großer Zufriedenheit ausgeübt.

Aufgemerkt:
ZU TUN, WAS MAN WILL, UND ZU WOLLEN, WAS MAN TUT- das zu finden, ist das Schönste aber auch das Schwierigste. DANKE, LIEBER PAUL!